29 Sep Attraktive Nahrungsquellen sollen Wisente von Bäumen abhalten
Wisent-Verein informiert über seine Aktivitäten zur Reduzierung von Schälschäden
Bad Berleburg , 29. September 2015. Die von frei im Rothaargebirge streifenden Wisenten verursachten Schälschäden an Bäumen haben sich auf einem gleichbleibenden Niveau eingependelt. Bislang wurden vom Wisent-Verein, seiner Versicherung und dem neu eingerichteten Schadensfonds Schälschäden in Höhe von insgesamt knapp 40.000 Euro ausgeglichen. „Zweieinhalb Jahre nach der Freisetzung im April 2013 sind die Schälschäden das einzige ernsthafte von den Wisenten verursachte Problem“, zieht der erste Vorsitzende des Wisent-Trägervereins, Bernd Fuhrmann, eine Bilanz des Gesamtprojektes.
Im Rahmen einer Pressekonferenz und einer Exkursion in die Wittgensteiner Wälder informierte der Wisent-Verein über Umfang und Auswirkungen von Schälschäden auf Lebensdauer und Qualität der einzelnen Bäume sowie über die Entwicklung der betroffenen Bestände insgesamt. Außerdem berichteten Bernd Fuhrmann und Vorstandskollege Johannes Röhl über die Anstrengungen und Aktivitäten des Vereins zur Eindämmung von Schälschäden. Bernd Fuhrmann betont: „Auch bei schwierigen Themen setzen wir auf Transparenz und Offenheit. Denn so faszinierend das für Westeuropa einzigartige Artenschutzprojekt auch ist – wir können es nur weiterentwickeln, wenn es breit akzeptiert wird.“
„Wir nehmen die Schälschäden-Problematik sehr ernst“, sagt Bernd Fuhrmann. Er verweist aber darauf, dass alle anderen Teilaspekte des Wisent-Projekts ausschließlich positive Ergebnisse zeigten. Dazu gehören vor allem, dass es keine Konflikte bei Begegnungen zwischen Mensch und Wisent gibt, dass die Tiere keine anderen Arten verdrängen, sondern im Gegenteil zur Vielfalt beitragen, und auch das große Interesse am Besucherareal, der „Wisent-Wildnis am Rothaarsteig“.
Zurzeit besteht die frei lebende Gruppe aus 17 Wisenten. Die maximale Größe wäre bei etwa 25 Tieren erreicht. „Wir sehen und verstehen die Sorgen der Waldbesitzer und arbeiten deshalb intensiv daran, Wisente vom Schälen abzuhalten“, sagt Fuhrmann. Der Wisent-Verein hat von Beginn des Artenschutzprojektes die Entschädigung entstandener, vom bestellten Wildschadensschätzer bezifferter Schäden zu einem zentralen Thema seines Selbstverständnisses erhoben – unabhängig vom rechtlichen Status der Tiere.
Und so läuft das Prozedere ab: Entstandene Schäden können beim Wisent-Verein gemeldet werden. Ein staatlich bestellter Experte prüft die Angaben vor Ort und ermittelt die Schadenssumme, die dann beglichen wird. Die Schäden entstehen zu zirka 90 Prozent an Buchen und zu etwa zehn Prozent an Fichten.
Die Bandbreite der Schälschäden zeigten Johannes Röhl und Bernd Fuhrmann am Bespiel zweier Areale im Wald: Während im früheren Auswilderungsareal massive Schälschäden zu erkennen sind, gibt es in anderen Bereichen zwar auch angefressene Bäume, ein forstwirtschaftlicher Schaden erwächst daraus aber nicht. Dennoch zeigen die beiden Areale, wo angesetzt werden kann.
In Kürze wird Dr. Michael Petrak ein Gutachten zur Raumlenkung der Wittgensteiner Wisente vorlegen. Petrak leitet die Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW. Von seinen Untersuchungen und Vorschlägen erwartet sich der Wisent-Verein wichtige Erkenntnisse darüber, wie Wisente durch z.B. die Schaffung attraktiver Aufenthaltsgebiete und das Angebot von lockenden Nahrungsquellen gezielt gesteuert und an gewünschten Orten gebunden werden können.
Bereits in der jüngeren Vergangenheit hatte der Verein zahlreiche Aktivitäten gestartet, um Schälschäden zu minimieren. Dazu zählen unter anderem Forschungskooperationen mit Wisent-Wissenschaftlern aus Polen und den Niederlanden. Außerdem bekommen die Wisente eine Mineral-Leckmasse. Als Zusatzfutter wurden in der „Wisent-Wildnis“ überdies Pellets mit einem Rindenanteil von Buchen getestet; dieser Versuch wird jetzt ausgeweitet. Auch Vergrämungsmittel mit unangenehmen Duftstoffen kamen zum Einsatz. Allerdings zeigten diese Mittel bislang nicht den gewünschten Effekt. „Eine Lenkung der Wisente über Nährstoffe ist offenkundig nicht oder nur sehr schwer zu erreichen“, erklärt deshalb die Koordinatorin des Projekts, Coralie Herbst. Seit 2010 waren den Tieren insgesamt 16 Blutproben entnommen worden. Sie wiesen allesamt keinen Mangel an Mineralien und Spurenelementen auf und zeigten darüber hinaus eine ausreichende Versorgung der Tiere mit dem wichtigen Selen. Deshalb sind die Empfehlungen von Dr. Petrak in seinem Gutachten so bedeutend.
2013, im Jahr der Freisetzung, wurden Schälschäden bei privaten Waldbesitzern in Höhe von insgesamt 9.388 Euro ermittelt und ausgeglichen. Im Jahr 2014 lag der Betrag bei 17.327 Euro. Und in 2015 sind bis Ende August Forderungen von insgesamt 13.147 Euro bezahlt worden. Die Schäden verteilen sich auf insgesamt 20 private Waldbesitzer überwiegend aus dem Hochsauerlandkreis.
Der finanzielle Ausgleich erfolgt seit diesem Jahr aus einem Schadensfonds. Dieser ist unter Federführung des Landes Nordrhein-Westfalen eingerichtet worden. Neben dem Land zahlen vor allem der Wisent-Verein, der Kreis Siegen-Wittgenstein, die Wittgenstein-Berleburg’sche Rentkammer, der Touristikverein „Markt und Tourismus“ Bad Berleburg und der WWF in den Fonds ein. Er stellt jährlich eine Summe von bis zu 50.000 Euro bereit.
Bei den Schälschäden, erklärt Johannes Röhl vom Vorstand des Wisent-Vereins, wird in vier Grade unterteilt. Entsprechend der folgenden Kriterien werden Schälschäden eingestuft:
• Schälgrad I (20 Prozent des Holzwertes wird ersetzt): Schälwunden bis zu zehn Prozent des Stammumfangs oder bis zu 20 Zentimeter Vertikallänge
• Schälgrad II (30 Prozent des Holzwertes wird ersetzt): Schälwunden von zehn bis 25 Prozent des Stammumfangs oder bis zu 30 Zentimeter Vertikallänge
• Schälgrad III (60 Prozent des Holzwertes wird ersetzt): Schälwunden von 25 bis 50 Prozent des Stammumfangs oder bis zu 40 Zentimeter Vertikallänge
• Schälgrad IV (100 Prozent des Holzwertes wird ersetzt): Schälwunden von mehr als 50 Prozent des Stammumfangs oder mehr als 40 Zentimeter Vertikallänge
Gemessen an dieser Einteilung, teilen sich die Schälschäden der vergangenen Jahre wie folgt auf, berichtet Johannes Röhl: „2013 lag der durchschnittliche Schälgrad bei 46 Prozent und im Jahr 2014 bei 63 Prozent. Für 2015 liegt noch keine endgültige Auswertung vor.“ Der Unterschied von 2013 auf 2014 erklärt sich daraus, dass Wisente überwiegend bereits geschälte Bäume erneut angefressen und damit den Schälgrad erhöht haben.
Wie wirkt sich das Schälverhalten der Wisente nun ökonomisch auf den einzelnen Baum aus. Auch dazu präsentiert Johannes Röhl Zahlen: „Die Buchen werden einsortiert in verschiedene Wertziffern – von 1 bis 6. Die Wertziffer 1 steht dabei für den qualitativ besten Baum. Dieses Holz ist für eine besonders hochwertige Verwertung geeignet, was sich entsprechend im hohen Preis für den Festmeter niederschlägt. Entstehen an einem Baum der Wertziffer 1 Schälschäden durch Wisente, wird der Eigentümer auch diesem Wert entsprechend entschädigt. Dagegen bringt ein Baum der Wertziffer 6 nur Industrieholzqualität, das sich zum Beispiel für die Spanplattenherstellung oder die Verbrennung eignet. Da ist dann auch der Preis entsprechend niedrig.“ Im Jahr 2013 lag die Wertziffer der von Schälschäden betroffenen Buchen bei 5,1 und in 2014 bei 5,8. Das liegt daran, dass die Buchenbestände in der Region ganz überwiegend aus Bäumen der Wertziffern 5 und 6 bestehen.
Der renommierte Professor Andreas Roloff vom Institut für Forstbotanik in Tharandt der TU Dresden hat sich auf Anfrage des Rechtsanwalts des geschädigten Waldeigentümers Vogt wie folgt zu der Thematik geäußert. Die nachstehenden Äußerungen geben die Zusammenfassung der Einlassung Prof. Roloffs durch die Anwaltskanzlei Dr. Dieter Schulz und Friedrich von Weichs in Schmallenberg wieder. Danach stellt Roloff fest, dass bei Schälschäden bis etwa 30 bis 40 Prozent des Stammumfangs keine Auswirkungen zu erwarten sind. Der Baum könnte das ausgleichen. Bei 50 bis 75 Prozent Schäden am Stammumfang gebe es messbare Effekte für die Krone (eine Vitalitätsstufe schlechter). Und bei Schäden von mehr als 75 Prozent seien deutliche Wachstumseinbußen in der Größenordnung von 25 bis 50 Prozent zu verzeichnen. Bei mehr als 90 Prozent treten Roloff zufolge massive Folgeschäden bis zum Absterben der Bäume auf.
Die Kanzlei fasst zusammen: „Die Stellungnahme von Prof. Roloff deutet darauf hin, dass die Buchen besser mit den Schäden zurecht kommen, als es das optische Ausmaß zunächst befürchten lässt. Bei bis zu 40 Prozent des Stammumfangs sind keine Auswirkungen zu erwarten. Demnach treten außer der Holzentwertung keine Folgeschäden auf. Das Problem bei der Bewertung der Schäden ist die Langfristigkeit von mehreren Jahrzehnten. Hier besteht eindeutig noch weiterer Forschungsbedarf.“