Wisentherde in der Wisent-Wildnis am Rothaarsteig

Erfreuliche Entwicklung trotz Corona

Erfreuliche Entwicklung trotz Corona

Bad Berleburg, 12. März 2021. Auch für den Wisent-Verein stand das Jahr 2020 zum Teil im
Zeichen der Coronavirus-Pandemie. Das hatte einige Einschränkungen zur Folge. Dennoch zieht
Bernd Fuhrmann, der Erste Vorsitzende des Wisent-Vereins, eine positive Bilanz.

Bernd Fuhrmann sagt: „Es war sehr bedauerlich, dass die Menschen für einen längeren
Zeitraum wegen der Corona-Auflagen nicht in das Besucherareal kommen konnten. Auch im
Naturerlebniszentrum konnten wir viele Angebote wegen der Kontaktbeschränkungen nicht
aufrecht erhalten, und schließlich war die die Wisent-Erlebnisausstellung mehrere Wochen
nicht zugänglich.“

Dennoch ist das Projekt natürlich weitergegangen. Der Vereinsvorsitzende erklärt: „Die frei
lebende Herde hat sich hervorragend entwickelt, sie fühlt sich sehr wohl im Rothaargebirge.
Das Besucherareal hatte – trotz der Zugangsbeschränkungen – insgesamt einen hohen
Zuspruch. Und wir konnten wichtige Projekte – wie die Fanganlage – realisieren.“
Das alles kann der Wisent-Verein freilich alleine nicht leisten. Er ist auf Unterstützung
angewiesen: Auf das Land Nordrhein-Westfalen, das z.B: Personalkosten der Wisent-Ranger
und der wissenschaftlichen Koordination übernimmt, auf private Sponsoren wie den
Naturefund aus Wiesbaden, den Hauptsponsor des Projektes, und viele Unternehmen aus der
Region, die einen wertvollen Beitrag zum Artenschutz leisten. Außerdem gibt es viele
ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sowie Partner wie den Dorfverein Aue-Wingeshausen
und den Wisent-Förderverein mit seinen mehr als 100 Mitgliedern, die alle einen großen
Anteil am Erfolg des in Westeuropa einzigartigen Artenschutzprojektes zur langfristigen
Wiederansiedlung der Wisente im Rothaargebirge haben.

Frei lebende Herde
Die frei lebende Herde im Rothaargebirge hat sich auch im vergangenen Jahr gut entwickelt.
Sie bestand zum Jahresende aus ca. 26 Wisenten. 23 davon sind bereits in Freiheit geboren.
Insgesamt konnten im Jahr neun Geburten verzeichnet werden, zwei Tiere wurden in Folge
von Verletzungen oder Schwäche erlöst. Die Größe der Herde kann nicht immer exakt
beziffert werden, da es sich schließlich um Tiere handelt, die sich frei und nicht immer sichtbar
bewegen.

Im vergangenen Jahr sind aus der frei lebenden Herde vier Jungbullen entnommen worden.
Diese von Beginn des Artenschutzprojektes an mit eingeplante Maßnahme ist zum Erhalt der
Gesamtpopulation erforderlich. Die Entnahme von Tieren aus der Gruppe erfolgte aus
genetischen Gründen zur Vermeidung von Inzucht und somit zum gesunden Erhalt der Herde
insgesamt.

Gleichwohl sieht der Wisent-Verein das Schießen der Tiere als Ultima Ratio an. Jahrelang hatte
er zuvor versucht, auf internationaler Ebene Abnehmer – d.h. andere Freilandprojekte in
Europa – für die Bullen aus dem Rothaargebirge zu finden. Diese Bemühungen führten jedoch
nicht zum Erfolg. Denn Bullen sind für andere Projekte grundsätzlich kaum interessant. Diese
Haltung leitet sich aus der Sozialstruktur der Tiere ab. Denn in der Fortpflanzungsperiode
wird ein Bulle für eine Kuhherde benötigt. Bei den Nachkommen halten sich weibliche und
männliche Tiere mit jeweils einem Anteil von rund 50 Prozent allerdings die Waage
Im vergangenen Jahr hat die Weltnaturschutzunion IUCN den Wisent neu eingestuft – und
zwar von Kategorie 3 „gefährdet“ zu „potenziell gefährdet“. „Das werten wir auch als Erfolg
unserer Arbeit“, sagt Johannes Röhl vom Wisent-Vorstand. Denn der Wisent-Verein hat – wie
viele andere Organisationen weltweit auch – dazu beigetragen, die Population weltweit zu
erhalten und zu stärken.

Abstand halten
Im Zusammenhang mit der frei lebende Herde gab es 2020 einen Zwischenfall, bei dem ein
Hund zu Tode kam. Bei einer Begegnung mit Wisenten hatte ein Hundehalter sein betagtes
Tier samt Leine losgelassen. Die Leine des Hund verhedderte sich daraufhin im Gestrüpp,
worauf sich der Hund nicht mehr von den Wisenten entfernen konnte. Diese nahmen den
Hund als Bedrohung ihrer neu geborenen Kälber war und verteidigten ihren Nachwuchs
entsprechend.

Der Wisent-Verein informiert seit vielen Jahren – gemeinsam mit anderen Organisationen –
über angepasstes und respektvolles Verhalten gegenüber Wildtieren im Wald. Die
Verhaltensregeln sind u.a. auf der Homepage des Vereins, beim Berleburg Tourismus und
anderen Organisationen und den hiesigen Wanderparkplätzen nachzulesen.
„Wir weisen seit Jahren immer wieder darauf hin“, betont Johannes Röhl, „dass gerade in der
Zeit, in der Kälber geboren werden, Hunde von Wisenten als Bedrohung gesehen werden
können.“ Der Wisent-Verein empfiehlt daher auch nachdrücklich, einen Abstand von
mindestens 50 Metern zu Wisenten einzuhalten. Wisente sind zwar friedliche, aber dennoch
Wildtiere, die insbesondere ihren Nachwuchs verteidigen. Das ist bei anderen Tierarten
genauso. Hunde sollten in solch einer Situation grundsätzlich nur ohne oder mit flexiblem
reißfähigem Halsband losgelassen werden.

Schälschäden
Auch für das Jahr 2020 sind dem Wisent-Verein durch die frei lebende Herde verursachte
Schälschäden an Bäumen gemeldet worden. Unabhängige Schätzer haben die Meldungen
geprüft. In Folge dessen hat der Wisent-Verein geschädigten privaten Waldeigentümern
zeitnah Schäden in Höhe von insgesamt rund 60.000 Euro erstattet.
Dafür steht ein Schadensfonds zur Verfügung. Dieser wird aktuell vom Land Nordrhein-
Westfalen, dem Wisent-Verein, dem Kreis Siegen-Wittgenstein und der Umweltstiftung WWF
Deutschland mit bis zu 50.000 Euro jährlich aufgefüllt. Alles was über diese Summe
hinausgeht, wird von einer entsprechenden Versicherung übernommen.

Die Entwicklung der Schälschäden der vergangenen Jahre sieht wie folgt aus:
• 2013: ca. 11.000 Euro
• 2014: ca. 17.000 Euro
• 2015: ca. 20.000 Euro
• 2016: ca. 50.000 Euro
• 2017: ca. 49.000 Euro
• 2018: ca. 50.000 Euro
• 2019: ca. 86.500 Euro
• 2020: ca. 65.000 Euro

Erfreuliche Besucherzahlen
Wie viele andere Einrichtungen musste auch die „Wisent-Wildnis am Rothaarsteig“ wegen
der Coronavirus-Pandemie und der damit verbundenen Hygieneregeln und
Kontaktbeschränkungen im Jahr 2020 gleich zweimal schließen: Vom 15. März bis einschließlich
4. Mai und ab dem 1. November 2020.

„Dennoch haben sich die Besucherzahlen angesichts dieser massiven
Einschränkungen sehr erfreulich entwickelt“, bilanziert Klaus Brenner vom Wisent-
Vereinsvorstand. So kamen 2020 – trotz der insgesamt mehr als 15-wöchigen
Schließung – rund 31.000 Besucherinnen und Besucher zur zweiten Herde des
Wisent-Projektes. „Das größte Interesse haben wir im Monat Juli festgestellt“,
berichtet Klaus Brenner. Da waren es alleine 5.466 Gäste. Der Oktober war der
zweitstärkste Monat mit 4.705 Besuchern. 5.195 Gäste der „Wisent-Wildnis am
Rothaarsteig“ legten die der SauerlandCARD und 584 die WinterbergCARD
beim Ticketkauf vor.

Seit der Eröffnung im Herbst 2012 kommen im Jahresdurchschnitt regelmäßig
mehr als 30.000 Besucherinnen und Besucher in die „Wisent-Wildnis am
Rothaarsteig“. Im Rekordjahr 2019 zählte der Wisent-Verein knapp 35.000 Gäste.
In der Wisent-Wildnis am Rothaarsteig lebten Ende 2020 insgesamt elf Wisente. Im Juli war
mit Zac ein neuer fünf Jahre alter dominanter Bulle hinzugekommen. Seine Aufgabe ist es, die
die genetische Vielfalt der Wisent-Population in der „Wisent-Wildnis am Rothaarsteig“ zu
sichern. Im Besucherareal waren 2020 insgesamt drei Kälbchen – zwei Bullen und eine Kuh –
geboren worden.

Fanganlage im Besucherareal
Im Besucherareal „Wisent-Wildnis am Rothaarsteig“ ist im Herbst 2020 eine Fanganlage
fertiggestellt gestellt worden. Dies geschah mit großer Unterstützung vieler freiwilliger
Helferinnen und Helfer. So konnte das Projekt binnen weniger Wochen vollendet
werden. Maßgeblich zur Finanzierung der Anlage hat der Naturefund mit Sitz in
Wiesbaden beigetragen – und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Organisation halfen auch vor Ort tatkräftig mit.

Die Fanganlage dient dazu, Wisente insbesondere bei tiermedizinischen Eingriffen
sowie bei Vorbereitungen und Durchführungen sowie bei der Logistik von
Tiertransporten bestmöglich behandeln und betreuen zu können, im besten Fall
ohne sie in Narkose versetzen zu müssen.

Die feststehende, kreisrunde Anlage ist für die Umgebung im Gehege, der
Wisent-Wildnis unik angepasst: Sie ist massiv aus Holz gebaut, blickdicht und mit
drei Metern hoch genug, damit keine Wisente darüber springen können. Die
Vorrichtung soll die Tiere schonend und stressfrei einfangen und birgt im
Gegensatz zu der verbreiteten Methode mit Narkose geringere gesundheitliche
Risiken für die Tiere.

Naturefund ist der strategische Partner des Wisent-Vereins und wesentlicher Unterstützer
des Wisent-Vereins. „Die freilebenden Wisente im Rothaargebirge sind eine Erfolgsgeschichte
im Artenschutz“, stellt Katja Wiese, die Gesch.ftsführerin von Naturfund, fest.
Naturefund ist eine gemeinnützige Naturschutzorganisation, die vorrangig weltweit Land kauft,
um Lebensräume für die Vielfalt von Tieren und Pflanzen zu bewahren. In nur wenigen Jahren
hat Naturefund Wiesen, Wälder und Feuchtgebiete gekauft. Im Zuge des Klimawandels kauft
Naturefund verstärkt Wälder und forstet wieder auf.

Wissenschaft
Auch 2020 nahm die wissenschaftliche Begleitforschung des in Westeuropa
einzigartigen Artenschutzprojektes zur Wiederansiedlung der Wisente erneut
großen Raum ein. Dazu zählten unter anderem die Besenderung einer weiteren
Kuh in der frei lebenden Herde und die Planung der Fanganlage im
Besucherareal.

Zur Begleitforschung gehört auch die Betreuung von universitären Abschlussund
Forschungsarbeiten durch die Wissenschaftliche Koordinatorin Kaja Heising.
Ebenso die Kooperation mit anderen Forschungseinrichtungen wie der
Humboldt Universität in Berlin, den Universitäten Freiburg, Marburg, Siegen,
Groningen, Bayreuth, Weihenstephan, Frankfurt am Main und Leeuwarden sowie
dem Ministerium für Umwelt in NRW (MULNV) und dem Senckenberg
Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt am Main.

Außerdem unterstützte Kaja Heising diverse Fach-, Projekt- und
Abschlussarbeiten von externen Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden
(u.a. Uni Dortmund, Uni Salzburg, Uni Bozen, Gymnasien in Hamburg oder
Bergisch Gladbach). Zu ihrem Aufgabenbereich gehört zudem die Vertretung des
Wisent-Vereins und das Halten von Vorträgen bei Tagungen und Kongressen (z.B.
Big Five, Rewilding Europe, Global Landscape Forum, NUA, Ministerium Litauen
etc.) sowie die Netzwerkarbeit mit anderen Organisationen wie True Nature
Foundation, Wisent-Projekt Schweiz, Naturpark Kellerwald-Edersee,
Biosphärenreservat Pfalz, Tierpark Berlin, Kölner Zoo, Wisent-Gehege
Hardehausen, Naturpark Unteres Odertal, Wahner Heide, Schmidtenhöhe
Koblenz u.v.m.

Kaja Heising zieht trotz der Corona-bedingten Einschränkungen ein positives Fazit: „Das
Interesse an unserem Projekt unter Fachleuten wächst überregional und international immer
weiter. Und von den laufenden Studien verspreche ich mir wichtige und interessante
Erkenntnisse.“

Ranger-Tagebuch
Als die Wisent-Wildnis im Zuge der Coronavirus-Pandemie geschlossen bleiben mussten, hat
der Wisent-Verein das Ranger-Tagebuch gestartet. So bringen die beiden Wisent-Ranger
Henrik Brinkschulte und Henrik Trapp die Tiere virtuell zu den Menschen nach Hause – mit
kurzen Texten, Bildern und Videos.
Seitdem gibt es regelmäßig neue Einträge in das Tagebuch. Die beiden Ranger berichten dabei
von ihrer Arbeit, Begegnungen mit den frei lebenden Wisenten im Rothaargebirge und den
Tieren im Besucherareal, und sie schildern, was rund um die Wisente sonst gerade noch so
alles passiert. Auch nach der Wiedereröffnung wird das Tagebuch mit ausgewählten Beiträgen, allerdings in
größeren Abständen, fortgesetzt.

 



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