08 Dez Ein großer Schritt für Fasel, Faye und den Tourismus
Die ersten beiden Jungkühe ziehen in die „Wisent-Wildnis am Rothaarsteig“ ein

Die erste Kuh ist vom Narkosepfeil getroffen – keine Leichtigkeit, da die Hanauer Herde sehr unruhig war.
Bad Berleburg, 8. Dezember 2011: Fasel und Faye sind umgezogen. Am Mittwoch stand der Umzugswagen vor dem „Wildpark Alte Fasanerie“ im Hanauer Stadtteil Klein-Auheim. Dort waren die beiden Wisent-Kühe bislang zu Hause. Am späten Abend kamen Fasel und Faye dann wohlbehalten in Bad Berleburg an, wo sie ihre erste Nacht aufgrund der problematischen Witterungsverhältnisse im Tiertransporter verbringen mussten. Die beiden Kühe bilden künftig mit vier weiteren Wisenten den Grundstock für die Wisent-Herde in der gerade entstehenden „Wisent-Wildnis am Rothaarsteig“.
Die „Wisent-Wildnis“ ist das „Guckloch“ in das Artenschutzprojekt zur Wiederansiedlung der Wisente im Rothaargebirge. Sie wird 2012 eröffnet. In Bad Berleburg gibt es jetzt also zwei Wisent-Herden. Die eine wird seit März 2010 im Auswilderungsareal auf die Freisetzung in einem 4.300 Hektar großen bewirtschafteten Wald vorbereitet. Dies soll Ende 2012 erfolgen. Das Projekt wird u.a. von drei Universitäten wissenschaftlich begleitet und vom NRW-Umweltministerium und dem Bundesamt für Naturschutz gefördert. Parallel hat im November eine Wisent-Erlebnis-Ausstellung eröffnet. Das Projekt erfährt im In- und Ausland große Beachtung und dient anderen Regionen als Vorbild und Pilot für ähnliche Vorhaben. Initiator ist Richard Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg.
Die zweite Herde mit Fasel, Faye und anderen ist dagegen in der „Wisent-Wildnis am Rothaarsteig“ zuhause. Diese zweite Herde ist praktisch der „touristische Arm“ des für Westeuropa bisher einzigartigen Artenschutzprojektes. Denn Wanderer werden die „Ursprungs-Herde“ im 4.300 Hektar großen Wald wegen der geringen Anzahl und dem menschenscheuen Verhalten praktisch nicht zu Gesicht bekommen.
In der 20 Hektar großen, wild-romantischen und naturbelassenen „Wisent-Wildnis“ können Besucher die beeindruckenden Tiere jedoch aus nächster Nähe „live“ erleben. Naturgenuss und -erlebnis stehen dort im Mittelpunkt eines sanften Tourismus. Es entsteht deshalb bewusst kein Gehege- oder Zoocharakter, unterstreicht Bernd Fuhrmann. Der erste Vorsitzende des Trägervereins „Wisent-Welt-Wittgenstein“ sagt: „Die Ankunft von Fasel und Faye ist ein ganz entscheidender und bedeutender Schritt für die Realisierung der „Wisent-Wildnis am Rothaarsteig“. Mit der „Wisent-Wildnis“ schaffen wir eine hochwertige touristische Attraktion, die unserer Region viele positive Impulse geben kann und zugleich die herausragende Bedeutung des Wisent-Schutzprojektes vermittelt.“
Die „Wisent-Wildnis“ wird mit sechs Königen der Wälder starten. Die beiden knapp dreijährigen Hanauer Kühe machen jetzt den Anfang. Fasel wurde als Tochter von Eginwald und Fantasia am 22. Juli 2009 in der Alten Fasanerie und Faye als Tochter von Eginwald und Falka am 22. August 2009, ebenfalls in Hanau, geboren. Die in der Alten Fasanerie verantwortliche Wildbiologin Dr. Marion Ebel übergab die Tiere am Mittwoch offiziell an die „Wisent-Wildnis“. Vor Ort wurden die Tiere vom Veterinär des Kreises Siegen-Wittgenstein, Dr. Wilhelm Pelger, dem Wissenschaftlichen Koordinator des Bad Berleburger Wisent-Projekts, Dr. Jörg Tillmann, und von Wisent-Ranger Jochen Born für die rund 170 Kilometer lange Reise vorbereitet und dann sicher nach Bad Berleburg gebracht.
Der Umzug von Wisenten ist keine Kleinigkeit. Denn immerhin handelt es sich dabei um die größten Landsäugetiere Europas. Zuerst galt es, Fasel und Faye von ihrer angestammten Herde in der Alten Fasanerie zu separieren. Denn für die Fahrt mussten die Tiere sediert werden. „Schwächelnde oder narkotisierte Tiere werden aber oft von ihren Artgenossen attackiert, da die anderen Herdenmitglieder solche Tiere für verletzt oder krank halten und sie aus dem Herdenverband nachhaltig ausstoßen“, erläutert Dr. Tillmann. Für den Transport nach Bad Berleburg wurden die beiden Wisent-Kühe schließlich mittels eines Pfeils aus dem Luftdruckgewehr narkotisiert. Dies ist ein kritischer Moment und muss daher unbedingt unter veterinärmedizinische Beobachtung geschehen. Dann wurden die Tiere mit einer Seilwinde auf den Tieranhänger gehievt. Beide Tiere fuhren gemeinsam in einem Hänger, immer dicht gefolgt von Dr. Pelger, der die Wisente so nie aus den Augen verlor. Am späten Abend erreichten sie dann die Wisent-Wildnis. Auf Grund der problematischen Witterungsverhältnisse (Dunkelheit, Schnee und Glätte) haben Kreisveterinär Dr. Wilhelm Pelger und der Vorstand des Trägervereins Wisent-Welt-Wittgenstein gemeinsam entschieden die Tier über Nacht im Tiertransporter zu belassen. Dr. Pelger wird am Donnerstagmorgen die Tiere noch einmal eingehend untersuchen und sie dann, falls nichts Unvorhergesehenes dazwischen kommt, in die Wisent-Wildnis entlassen.
Fasel und Faye werden aber nicht lange alleine bleiben. Schon am 28. Dezember folgen ihnen Horno und Gutelaune in die „Wildnis“. Der Umzug von Jungbulle Horno dient vor allem der sozialen Harmonie in der für die Freisetzung vorgesehenen Herde, erklärt Dr. Tillmann. Denn gerade in der Brunftzeit drohen stets Auseinandersetzungen zwischen dem ranghöchsten Bullen Egnar und dem nachdrängenden Horno. Mit Horno zieht auch Gutelaune um, die wegen ihres sanften und zurückhaltenden Charakters besser in der „Wisent-Wildnis“ als in freier Wildbahn aufgehoben ist. Diese Vierergruppe wird schließlich Anfang nächsten Jahres noch durch zwei weitere Wisent-Kühe komplettiert. Sie kommen aus Damerower Werder und aus dem belgischen Grottes de Han-sur-Lesse et de Rochfort S.A. nach Bad Berleburg.
„Die Tiere sollen sich jetzt erst einmal zusammenfinden und eine stabile Herdenstruktur aufbauen“, sagt Johannes Röhl vom Vorstand des Trägervereins. Wenn die Wildnis dann aller Voraussicht nach im Frühsommer öffnet, werden die Tiere ihre neue Umgebung schon an- und in Besitz genommen haben. Erst müssen sich die Tiere wohlfühlen, betont Johannes Röhl, „dann können die Menschen kommen“. Die Sechser-Gruppe, berichtet Röhl, soll sich dann in der „Wisent-Wildnis“ bis auf eine Größe von maximal zwölf Tieren vermehren.
Derweil schreiten im Areal der „Wisent-Wildnis“ die Bauarbeiten planmäßig voran. Dort wird ein etwa drei Kilometer langer und weitgehend naturbelassener Rundweg entstehen. Für weniger trittsichere Menschen gibt es einen Stichweg, der ebenfalls gute Einblicke in das Wisent-Gelände erlaubt. Der rund 3,3 Kilometer lange und zwei Meter hohe Außenzaun lässt an einigen Stellen eine Bodenfreiheit von rund 40 Zentimetern, so dass in der „Wisent-Wildnis“ zum Beispiel auch Rot- und Muffelwild sowie Wildschweine ein- und ausgehen können.
Der Innenzaun ist etwa 2,4 Kilometer lang und 1,70 Meter hoch. Er besteht aus drei Strom führenden Litzen. „Der Innenzaun wird unter anderem durch Wurzelteller, Sträucher, Pflanzen und Naturelemente so gestaltet und kaschiert, dass er nicht als Zaun auffällt“, weist Vorstandsmitglied Paul Breuer auf den naturnahen Charakter der „Wisent-Wildnis“ hin.
Paul Breuer sagt weiter: „Wir werden stufenweise eine Attraktion nach der anderen fertigstellen.“ Derzeit sind die Talausbauten für die Gestaltung des Rundweges in vollem Gange. Die Erdarbeiten für die Anlage des Menschentunnels, der unter den Wisenten hindurchführt, sind bereits abgeschlossen. Sie bereiteten weniger Schwierigkeiten als befürchtet, denn die Baumaschinen trafen glücklicherweise nicht auf massive Felsformationen, sondern lediglich auf Erde. Auch mit einer weiteren Attraktion, der Steinbastion, ist bereits begonnen worden; so sind die ersten Steine bereits gesetzt worden. Und schließlich ist auch schon eine Treppe von und zum Bach entstanden.
Das Artenschutzprojekt in einem bewirtschafteten Wald im Eigentum von Richard Prinz zu Sayn-Wittgenstein Berleburg wird vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und dem Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen sowie vom Kreis Siegen-Wittgenstein, der Stadt Bad Berleburg und zahlreichen privaten Sponsoren gefördert.