Nach einer ausgiebigen Fotowanderung in den frühen Morgenstunden des 18. Mai 2014 auf dem Rothaarsteig, befand ich mich auf dem Rückweg zum Wanderparkplatz bei Kühhude. Knapp zwei Kilometer vor dem Ziel, in einer Wegsenke des Rothaarsteiges, taucht rechts, mindestens 40 Meter vom Weg entfernt, im Augenwinkel etwas Großes, Braunes auf: die Wisentherde!
Die Tiere stehen am Waldrand, äsen friedlich und lassen sich erst mal nicht stören. Man kann aber leicht sehen, dass sie den Wanderer, der dort am Wegrand steht, schnell registriert haben, wie auch auf den Bildern zu sehen ist. Nach einigen Sekunden sorgfältiger Abschätzung dieses merkwürdigen Wesens mit seinem Fotoapparat, wird aber wieder ganz in Ruhe weiter gefressen. Blätter und Zweige sind einfach zu lecker…
Mit der Zeit wird erkennbar, dass dort nicht nur zwei Tiere, sondern die ganze Herde steht. Im Dunkeln unter den Bäumen und zwischen dem Gestrüpp waren sie zuerst schwer zu sehen, die zunächst liegenden Tiere gar nicht. Für einen Fotografen und Naturliebhaber entsteht eine unvergessliche Situation: die Tiere haben mich registriert, bleiben aber erst einmal auf Abstand und lassen sich ungestört ablichten. Mit der Zeit wechseln sie auch etwas näher, bleiben zwischendurch immer wieder kurz stehen und sichern.
Da ich aber am Wegrand stehe und mich von dort auch nicht auf die Herde zubewege, ist nicht das geringste Zeichen zu erkennen, dass die Wisente sich gestört fühlen würden. Keines der Tiere zeigt Zeichen der Aggression (Querstellen, Kopfschütteln, Scheinangriffe) oder von Stress, sie äsen ruhig weiter. Auch sind für beide Seiten Rückzugsmöglichkeiten gegeben: sowohl für die Tiere, die in den Wald abziehen könnten, als auch für den Fotografen, der einfach weiter auf dem Rothaarsteig-Grenzweg gehen kann.
Nach fast einer Stunde gegenseitigen Beobachtens und vielen Aufnahmen geht es dann zum Auto. Bemerkenswert ist auch, dass in dieser Zeit mehrere Mountain-Biker vorbeigefahren sind, ohne von den Tieren Notiz zu nehmen.
Natürlich hätte sich die Situation auch anders entwickeln können: Wenn sich die Herde auf beiden Seiten des Weges aufgehalten oder die Wisente Zeichen von Stress gezeigt hätten, sollte man eben nicht weitergehen. Erst recht darf durch den Fotografen selbst kein Stress erzeugt werden: Fotografieren mit langer Brennweite ja, Nachstellen und Stören nein! Respekt vor der Natur und diesen Tieren ist die einfachste Regel, um solche Erlebnisse auch genießen zu können. Die Wisente sind es wert!
Zur Person:
Dr. med. Peter Lütkes ist gebürtig aus Schmallenberg und unterstützt als Mitglied des Fördervereins das Wisent-Projekt. Zusammen mit Klaus Stanek wurden Fotoausstellungen über das Projekt und die Tiere in Freusburg, Freudenberg und Schmallenberg durchgeführt, weitere stehen an. Dies ist das erste Mal, dass er die freilebende Herde im Wisent-Wald gesichtet hat.
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