05 Mai Wisent-Projekt verläuft weiterhin erfolgreich
Positive Bilanz nach einem Jahr Freisetzung: Erste Forschungsergebnisse veröffentlicht
Bad Berleburg, 5. Mai 2014. „Nach jetzt einem Jahr ziehen wir ein positives Zwischenfazit.“ So bewertet Bernd Fuhrmann das für Westeuropa einzigartige Wisent-Artenschutzprojekt. Der erste Vorsitzende des Trägervereins für das Projekt unterstrich: „Das Wissen über die Wisente ist in den vergangenen zwölf Monate enorm gewachsen. Das erste Jahr hat zahlreiche spannende Ergebnisse hervorgebracht.“ Im April vor einem Jahr waren die ersten Wisente in den Wittgensteiner Wäldern freigesetzt worden.
„Das Wisent-Artenschutzprojekt in Wittgenstein verläuft weiterhin erfolgreich“, unterstrich Bernd Fuhrmann zum Jahrestag der Freisetzung: „Wir sind mit dem Erreichten sehr zufrieden.“ Die Tiere seien gesund, und zwei Kälbchen wurden im Mai 2013 bereits in Freiheit geboren. Das Projekt zur Erhaltung der vom Aussterben bedrohten größten Landsäugetiere Europas ziehe außerdem ungebrochen große Aufmerksamkeit auf sich. Wissenschaftler aus ganz Europa interessierten sich für die Forschung. Im Herbst 2014 werde ein internationaler Wissenschaftler-Workshop die ersten Ergebnisse der Freisetzungsphase in Bad Berleburg diskutieren. Der Stadt biete sich die große Chance, sich als internationaler Wisent-Standort zu etablieren.
Die Wisente sind laut Bernd Fuhrmann in kurzer Zeit zu einem positiven Markenbotschafter für die Stadt und die Region geworden. „Sie haben bei vielen Menschen in der Region für eine Aufbruchsstimmung gesorgt“. Die aus dem Artenschutzprojekt heraus entstandene „Wisent-Wildnis am Rothaarsteig“ mit einer zweiten Herde für Besucher werde sehr gut angenommen. Seit der Eröffnung (September 2012) bis Ende März 2014 wurden insgesamt rund 53.000 Gäste gezählt. Im Frühsommer steht dort dann die Eröffnung der Wisent-Hütte an. Die Gastronomie, erwartet der Wisent-Verein, wird dem Tourismus weiteren Aufschwung verleihen. Schon jetzt seien rund um die „Wisent-Wildnis“ aus der Freizeitbranche heraus viele innovative Angebote für Touristen entstanden. Das bringe zusätzliche Arbeitsplätze und sorge für eine steigende Wertschöpfung.
Derzeit besteht die frei lebende Herde aus neun Tieren, berichtete Coralie Herbst, die wissenschaftliche Koordinatorin des Wisent-Projektes von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover: einem Bullen, fünf Kühen, einer Jungkuh und zwei Kälbern. Der im Juni 2012 geborene Quandor wurde im September 2013 Opfer in einem Rangkampf.
Spannend war die Frage, wie sich die Tiere nach der Freisetzung verhalten würden. Darauf konnte Coralie Herbst nun erste Antworten geben: In den vergangenen zwölf Monaten bewegten sich die Tiere auf einer Fläche von rund 5.500 Hektar. „Das entspricht exakt den Angaben in der Literatur und dem, was zu erwarten war“, betonte Herbst.
Vor ihrer Freisetzung waren die Wisente in einem rund 88 Hektar großen Eingewöhnungsareal drei Jahre lang auf ihre Freiheit vorbereitet worden. Dort gibt es auch einen Managementbereich, der nach wie vor genutzt wird, zum Beispiel wenn die Tiere geimpft, narkotisiert und gesundheitlich untersucht werden. Das Streifgebiet der Tiere hatte im zurückliegenden Jahr eine Ausdehnung auf der Ost-West-Achse von maximal zwölf Kilometern und auf der Nord-Süd-Achse von maximal acht Kilometern. Die Wisente hielten sich überwiegend in einem Kerngebiet von rund 700 Hektar auf. Diese Daten zeigen: Die Wisente fühlen sich heimisch, unternehmen Ausflüge, kehren aber immer wieder in ihr angestammtes Kerngebiet zurück.
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Verkehrssicherheit. Dort hat die Auswertung des Wanderverhaltens der Wisente Folgendes gezeigt: An der Bundesstraße 480 hat es keine Überquerungen durch Wisente gegeben – auch bei der B 236 nicht, allerdings waren die Wisente dort bis zu zehn Meter an den Albrechtsplatz herangerückt. An der Kreisstraße 39 wurden die Tiere dagegen mehrfach beim Straßenkreuzen beobachtet. Auf der Kreisstraße 42 wurde eine Überquerung der Gruppe (hin und zurück) festgestellt. Allerdings resultieren aus diesem Verhalten keine Wisent-spezifischen Sicherheitsfragen: Auch andere Wildtiere nehmen diese Wege. Die B 480 ist deshalb bereits mit speziellen Wildwarnreflektoren ausgestattet worden, und an der K 42 in der Nähe der „Wisent-Wildnis“ werden die Autofahrer in Kürze mit Straßenbannern auf Wildwechsel hingewiesen.
Coralie Herbst berichtete auch über die neuesten Erkenntnisse zur Interaktion von Mensch und Wisent. Tests hatten in der Zeit von 2010 bis 2012 gezeigt, dass die durchschnittliche Fluchtauslösedistanz bei rund 40 Metern liegt. Das konnte 2013 bestätigt werden. Seit der Freilassung gab es vor allem in Online-Netzwerken Berichte, wonach Menschen bis auf zehn Meter an die Tiere herangekommen seien. Dies ist jedoch nicht überprüfbar. „Es hat sich aber klar gezeigt, dass von den Wisenten in keinem einzigen Fall ein aggressives Verhalten ausgegangen ist“, betonte Coralie Herbst. Wenn allerdings Menschen versuchten, die Tiere durch Futter anzulocken, sei dies kontraproduktiv. „Wir müssen leider feststellen, dass einige Menschen den nötigen Respekt gegenüber den Wisenten vermissen lassen“, berichtet Coralie Herbst. Deshalb erstellt der Wisent-Verein nun eine Anleitung zum Umgang mit Wildtieren insgesamt.
Wie es zu erwarten war, schälen Wisente auch Baumrinden. Bislang liegen dem Trägerverein (Stand Ende April 2014) 19 Schadensmeldungen zu geschälten Bäumen vor. Insgesamt sind die Schäden von zusammen neun Eigentümern gemeldet worden. Sie beziehen sich auf 324 Buchenstämme und 67 Fichtenstämme. Der monetäre Gesamtschaden liegt nach den Ermittlungen eines staatlich bestellten unabhängigen Gutachters bei 9.388 Euro. Die einzelnen Schadenssummen bewegen sich dabei zwischen 20 und 2.710 Euro. Alle begutachteten Schäden sind bereits von der Versicherung beglichen worden.
Der Verein hat eigens für solche Schäden eine Versicherung abgeschlossen, so dass die ökonomischen Schäden reibungslos reguliert werden können. „Wir bemühen uns dabei um eine großzügige und schnelle Erstattung der geltend gemachten Beträge“, sagt Bernd Fuhrmann. Der erste Vorsitzende unterstrich auch, dass der Verein mit den Schäden transparent umgehe, die Sorgen der Waldbesitzer ernst nehme und sich mit diesen in einem ständigen Dialog befinde. Parallel bemühen sich die Wissenschaftler um Lösungen zur Reduktion des Schälverhaltens. Dazu gehören u.a. eine neue Nahrungsergänzung, eine kürzlich erfolgte Blutuntersuchung auf eventuelle Mangelerscheinungen und die Weiterentwicklung des Managementkonzeptes.
Langfristiges Ziel des Artenschutzprojektes ist es, dass die Wisent-Herde eines Tages einen so genannten herrenlosen Status erhält. Damit wären die Tiere dann aus der Verantwortung des Trägervereins entlassen und gehörten niemandem mehr – wie z.B. ein Hase auf dem Feld. Dafür gibt es aber noch keinen exakt definierten Zeitpunkt. Das kann noch mehrere Jahre dauern und ist abhängig von den Ergebnissen weiterer wissenschaftlicher Forschungen. Außerdem soll nach Lösungen gesucht werden, um Waldbesitzer auch dann weiter für Baumschäden durch Wisente entschädigen zu können. Dafür wäre z.B. die Einrichtung eines Fonds denkbar.