14 Mrz Wisente bringen der heimischen Region viele Vorteile
Forscher präsentierten erste Untersuchungsergebnisse zu Wisenten im Rothaargebirge | Hochkarätig besetzter Internationaler Workshop in Bad Berleburg

Bad Berleburg ist nun ein Teil der internationalen Wisent-Wissenschaft. Die bedeutendsten Wisent-Forscher Europas nahmen am Workshop in Bad Berleburg teil
Bad Berleburg, 14. März 2012. Als „riesigen Meilenstein“ hat der erste Vorsitzende des Trägervereins „Wisent-Welt-Wittgenstein“, Bernd Fuhrmann, den Internationalen Workshop vom 12 bis 14. März 2012 in Bad Berleburg bezeichnet. Die Stadt erfahre dadurch eine Standortaufwertung. Bad Berleburg sei nun Teil der internationalen Wisent-Wissenschaftler-Gemeinschaft. Denn die bedeutendsten Wisent-Forscher Europa seien zum Workshop nach Bad Berleburg gekommen. Beim Workshop wurden auch die bisherigen Forschungsergebnisse zum Bad Berleburger Wisent-Artenschutz-Projekt präsentiert. Sie zeigen: Von den Wisenten gehen keine zusätzliche Risiken aus. Im Gegenteil: Die Wisente bringen der Region viele Vorteile.
Bei der Pressekonferenz zum Internationalen Workshop im Bad Berleburger Schloss unterstrich Bernd Fuhrmann die drei großen Bereiche des Wisent-Projektes:
- den Artenschutz: Ziel ist es, Ende des Jahres eine Wisent-Herde in einem 4.300 Hektar großen und bewirtschafteten Wald freizusetzen.
- den Tourismus: Im Laufe des Sommers soll die „Wisent-Wildnis am Rothaarsteig“ eröffnen und den touristischen Arm des Projektes bilden. Denn die Artenschutzherde wird in dem großen Wald praktisch nicht zu sehen sein. Deshalb soll die „Wildnis“ mit einer zweiten Herde eine Art „Guckloch“ in das Artenschutzprojekt ermöglichen.
- das Wisent-Wissen: Es ist gekennzeichnet durch Informationen, Naturbildung und Wissenschaft. Dazu gehört auch der internationale Workshop mit rund 50 Teilnehmern.
Bernd Fuhrman lobte die „Einzigartigkeit und Vielschichtigkeit“ des Workshops. Dabei profitierten die ausländischen Wissenschaftler vom Feldversuch im Rothaargebirge, und das heimische Wisent-Projekt lerne aus den Erfahrungen der internationalen Projekte.
Joep van de Vlasakker gehört zu den renommiertesten Wisent-Experten weltweit. Er unterstrich: Weil frei lebende Wisente in Deutschland schon so lange ausgestorben sind, hätten die Deutschen keine Erfahrung mehr mit diesen großen, aber sanften und scheuen Tieren. Dies sei verständlich, denn „Angst hat man vor etwas, das man nicht kennt“. Der Niederländer betonte aber: „Die Menschen können ohne Gefahr in den Wald gehen.“ Wisente seien keine Raubtiere, sondern Pflanzenfresser, es habe in Europa noch nie tödliche Unfälle zwischen Menschen und Wisenten gegeben. Es gebe nur zwei Situationen, in denen es eventuell kritisch werden könne: in den ersten Stunden, wenn eine Kuh ihr gerade geborenes Jungtier schütze und wenn man einen solitären Bullen reize. Die Wisente selbst gingen aber dem Menschen aus dem Weg.
Van de Vlasakker wertete das Bad Berleburger Projekt als vorbildlich. Es werde eine hervorragende Arbeit geleistet. Es werde nicht einfach nur umgesetzt. Vielmehr nähmen der Dialog mit allen Betroffenen und der Bevölkerung sowie Aufklärung und Information einen hohen Stellenwert ein, um Ängste zu nehmen. Mit den Wisenten im Rothaargebirge werde der Wisent im Westen Europas insgesamt eine bessere Zukunft haben, weil das Projekt einen bedeutenden Beitrag zur Arterhaltung leiste.
Dr. Jörg Tillmann, der Wissenschaftliche Leiter des Bad Berleburger Wisent-Projektes, stellte in der Pressekonferenz die bisherigen Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung vor. Die Wissenschaft ist ein ganz zentraler Bestandteil des Wisent-Projektes. Denn bevor es überhaupt zu einer Freisetzung der Wisent-Herde kommen, müssen eine Reihe von Fragen zum Verhalten der Wisente und den Folgen ihres Daseins beantwortet und dem zuständigen Landesumweltministerium berichtet werden.
Dr. Tillmann unterstrich, dass alle bisherigen Ergebnisse positiv ausgefallen seien. Die ersten wissenschaftlichen Ergebnisse zur Verhaltensbiologie der sanften Riesen zeigen: Die Wisente haben schnell einen festen Herdenverbund gebildet. Die Wisente folgen einem regelmäßigen Tagesablauf, bleiben ihrem Standort treu und bevorzugen bestimmte Flächen. Zahlreiche Versuche mit Wanderern, Radfahrer, Hundeführer, streunenden Hunden und sogar mit Campern, Skifahrern und Wanderern mit Stöcken und Schirmen haben gezeigt: Die Wisente lassen sich nicht aus der Ruhe bringen, beobachten das Geschehen meist aus der Distanz und wenden sich dann ab. Von ihnen geht damit kein besonderes Risiko aus.
Mittlerweile liegen Erfahrungen über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren vor. Und seitdem schauen sich Wissenschaftler den Verbiss und die Schälungen bei Baumbeständen durch die Wisente ganz genau an. Trotz der relativ großen Anzahl der Tiere im Eingewöhnungsareal (bis zu neun Wisente auf 88 Hektar) sind die Auswirkungen sehr gering und örtlich beschränkt. An jungen Fichten und Buchen sind keine Schäden beobachtet worden, die aus forstökonomischer Sicht von besonderer Bedeutung wären, wie das Institut für Forstliche Betriebswirtschaftslehre der Universität Göttingen herausgefunden hat. Für die natürliche Vegetation im Rothaargebirge erweist sich der Wisent schon jetzt als ein wertvoller Impulsgeber. Die bisherige wissenschaftliche Begleitforschung zeigt: Der Einfluss der mächtigen Tiere ist am ehesten in offenen Wiesenbereichen sichtbar. Dort werten die Wisente durch ihr Fress- und Trittverhalten die Vegetationsstruktur deutlich auf. Die Tiere halten Flächen offen und tragen positiv zur Artenvielfalt bei.
Die „Hinterlassenschaften“ von Wildtieren liefern für verschiedenste Insektenarten und andere Organismen die entscheidende Lebensgrundlage. Denn für die Dungkäfer ist der Kot von Tieren die Hauptnahrung und gleichzeitig ihre „Kinderstube“. Im Gefolge der Wisente kehrt nun eine vielfältige Artengemeinschaft kot-fressender Wirbelloser in den Wald zurück. Diese dient dann wiederum Insekten fressenden Vögeln oder Säugetieren wie Spitzmäusen oder Fledermäusen als Nahrung. Damit erfährt der Lebensraum Wald eine Aufwertung.
Zu den Prüfungsaufgaben der Forschung gehört auch die Frage nach der Standorttreue der Wisente. Die Wissenschaftler kommen zu der Einschätzung: ein Zaun als Abgrenzung zum Rothaarsteig ist sachlich nicht erforderlich; die Tiere selbst begründen keine Notwendigkeit für einen Zaun. Denn Wisente sind sehr standorttreu. Und sie können darüber hinaus mit einem guten Standortmanagement (beliebte Flächen, Fütterung etc.) an ein bestimmtes Areal gebunden werden. Zudem stärkt die Geburt des ersten Kälbchens im August 2011 die Bindung der Herde an das bekannte Gebiet. Mit vagabundierenden Tieren sei deshalb nicht zu rechnen.
Dr. Peter Finck repräsentierte bei der Pressekonferenz das Bundesamt für Naturschutz (BfN), einen der wesentlichen Förderer des Projektes. Er wies noch einmal auf die Ausgangsfrage des Projektes hin: „Ist es möglich, eine so große Tierart, die seit Jahrhunderten nicht mehr Teil der Natur ist, frei in der Landschaft leben zu lassen?“ Man sei zwar mit einer positiven Arbeitshypothese in das Projekt gegangen, der Erforschungsprozess sei gleichwohl ergebnisoffen. Das besondere an dem Wisent-Projekt im Rothaargebirge sei das Ziel, Wisente frei laufen zu lassen. Dies sei der einzigartige Ansatz, deshalb trete das BfN als Förderer auf. Dr. Finck unterstrich aber auch, dass dem Amt die Akzeptanz der Anrainer und in der Bevölkerung besonders wichtig sei. Eine erfolgreiche Freisetzung könne dann Modellfunktion für andere ähnliche Projekte in Europa haben.
Die Ergebnisse der Wissenschaft, sagte Bernd Fuhrmann, würden jetzt breit kommuniziert und diskutiert – sowohl mit den Nachbargemeinden als auch mit der Öffentlichkeit. Innerhalb des Projektes führe die Diskussion nun in die projektbegleitende Arbeitsgruppe und dann in die große Runde der Steuerungsgruppe. Die Steuerungsgruppe entscheide letztlich ob und in welcher Form die Wisente in die freie Natur entlassen werden können. Dies werde wohl im Sommer so weit sein. Die Freisetzung könnte dann im Winter Ende 2012 erfolgen. Er könne und wolle der Diskussion und Entscheidungsfindung in den Gremien nicht vorgreifen, sagt Bernd Fuhrmann, sei aber persönlich davon überzeugt, dass mit den vorliegenden wissenschaftlichen Ergebnissen eine Freisetzung erfolgreich begründet werden könne.
Die Bad Berleburger Wisente, resümierte Joep van de Vlasakker, würden die Touristen bestimmt nicht vertreiben, sondern sie anziehen. Die Wisente seien wichtige Botschafter für die Region. Sie leisteten einen Beitrag zur ökonomischen Belebung und seine ein wichtiges Signal für einen erfolgreichen Artenschutz.