Wittgenstein wird Wisenten noch schmackhafter gemacht

Wisent-Verein wertet Grünflächen auf / Attraktives Nahrungsangebot für die frei lebende Herde / Arnsberger Gerichtsurteil wird umgesetzt

Bad Berleburg , 20. April 2016. Unmittelbar mit Beginn der Vegetationsperiode hat der Wisent-Verein damit begonnen, attraktive Flächen auf der Wittgensteiner Seite des Rothaarsteig für die frei lebende Herde herzurichten. Damit soll die Lust der Wisente auf Baumrinden – insbesondere auf Grundstücken privater Waldbesitzer im Hochsauerlandkreis – nachhaltig geschmälert werden. Am gestrigen Dienstag ist deshalb als einer von vielen Schritten den Wisenten ein neues Nahrungsangebot auf der Kühhude zur Verfügung gestellt worden.

Der Wisent-Verein war im vergangenen Oktober vom Landgericht Arnsberg dazu verurteilt worden „geeignete Maßnahmen“ zu ergreifen, um die Wisente am Betreten der Grundstücke zweier klagender Waldeigentümer aus dem Hochsauerlandkreis zu hindern. Dafür dient dem Verein in erster Linie ein Gutachten von Dr. Michael Petrak. Er leitet die Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW und hat die Expertise im Auftrag des Landes erstellt. Dr. Petrak listet darin eine Reihe von Möglichkeiten auf, den Wisenten den Aufenthalt in Wittgenstein im Wortsinne schmackhaft zu machen.

Entscheidend ist dabei die Schaffung neuer attraktiver und vielfältiger Nahrungsquellen. Einen wichtigen Baustein in diesem Konzept bildet die Kühhude. Dort hat die Wittgenstein-Berleburg’sche Rentkammer ein rund acht Hektar großes Areal erworben. Über die Anpachtung weiterer rund acht Hektar Wiese in diesem Areal wird gerade verhandelt.

Am Dienstag, berichtet Johannes Röhl vom Vorstand des Wisent-Vereins, ist dieser Bereich für die Wisente geöffnet worden. Einerseits wurde ein neuer Zaun gesetzt, um angrenzende Haus- und Gartengrundstücke für  alle Wildarten unzugänglich zumachen und parallel dazu die südliche Zauntrasse geöffnet. So wurde allen Wildarten wie auch den Wisenten ein neues Nahrungsangebot eröffnet. In den kommenden Tagen wird auch noch der Zaun im Osten des Grundstücks teilweise verschwinden. Die Begrenzung im Westen bleibt allerdings bestehen – wegen der angrenzenden Straße.

Im Bereich der Wittgenstein-Berleburg’sche Rentkammer werden darüber hinaus weitere Wiesen und Grünflächen – die über das ganze Gebiet verteilt sind – im Sinne des Petrak’schen Gutachtens aufgewertet. Insgesamt sind dies im Streifgebiet der Wisentherde zirka 60 Hektar. Im Kern wird die Zusammensetzung der Pflanzen auf diesen Grundstücken vielfältiger und abwechslungsreicher gestaltet.

Im Gutachten listet Dr. Michael Petrak auf, was alles dazu gehört, um Äsungsflächen für Wisente attraktiver zu machen. Dort heißt es: „Die attraktivsten Flächen mit hohem Arten- und Strukturreichtum für die Wisente sind diejenigen, auf denen Pflanzengemeinschaften aus verschiedenen Verbänden wie z.B. Rohrglanzgasröhrichte, Mädesüßfluren, Feuchtwiesen, Fettweiden, Borstgrasrasen und Schlagfluren unmittelbar nebeneinander wachsen.“

Das alles setzt der Wisent-Verein um. Allerdings, schränkt Wisent-Vorstand Johannes Röhl ein: „Das funktioniert nicht so, als wenn man einen Schalter umlegt. Hier handelt es sich um biologische Prozesse.“ Das heißt, es braucht natürlich Zeit, bis die neuen Kulturen wachsen und bis sich der Charakter der Wiesen nachhaltig verändert.

Konkret bedeutet dies:

•    Anders als in früheren Jahren, werden die Wiesen im Frühjahr nicht nur abgeschleppt, sondern mit Striegeln bearbeitet. Dadurch wird mehr abgestorbenes Material entnommen, und es entstehen Keimbereiche für neuere Arten. Diese Flächen werden gleichzeitig geringe Menge von Leguminosen eingesät, so dass der Anteil dieser als Äsungspflanzen sehr attraktiver Arten erhöht wird.

•    Eine Düngung ist durch die Naturschutzgebietsverordnung nur eingeschränkt möglich. Wo diese erlaubt ist, besteht die Zielsetzung insbesondere darin, keine hohen Stickstoffkonzentrationen hervorzurufen, da die so gedüngten Pflanzen zwar zunächst sehr attraktiv sind, gleichzeitig aber den Bedarf an raufutterreicher Nahrung erhöhen und dadurch möglicherweise Schälschäden provozieren könnten.

•    Die Düngung wird mit Thomaskali vorgenommen, wie es Dr. Petrak in seinem Gutachten empfohlen hat. Außerdem werden nach Bedarf die Flächen gekalkt. Zusätzlich erfolgt die Düngung mit Magnesia-Kainit. Die Stärke dieses Materials liegt im Magnesium- und Schwefelgehalt, außerdem erhöht der relativ hohe Natriumanteil die Attraktivität der Futterpflanzen.

Die Umgestaltung solcher Grünflächen für die Wisente ist der zentrale Punkt des Petrak-Gutachtens. Ein weiterer stellt die Lenkung der Wisente im Raum dar durch gezielte Fütterungen. Fütterungen mit Futtermitteln, wie sie nach den behördlichen Vorgaben für die Wisente zugelassen sind, sind den ganzen Winter über vorgenommen worden. „Außerdem  geben wir gezielt Rindenpellets hinzu, um den Wisenten in Wittgenstein alles Notwendige zu Verfügung zu stellen, damit sie nicht im Hochsauerland nach Nahrung  suchen“, sagt Johannes Röhl  Allerdings verlieren die „künstlichen“ Fütterungen mit Einsetzen der Vegetationszeit bekanntermaßen an Attraktivität für alle Wildarten.

Eine weitere Möglichkeit wäre die Anlage von Wildäckern, d.h. Flächen, die mit einjährigen besonders nährstoffreichen und damit als Futter attraktiven Pflanzen (Rüben, Rübsen, Kohl etc.) bestellt sind. Denn sie üben eine besondere Anziehungskraft auf die Wisente aus. Deshalb sagt Johannes Röhl: „Die ersten Schälschäden bei den betroffenen Waldbauern im Hochsauerlandkreis entstanden vor allem in Wäldern, die an solche Wildäcker angrenzen.“ Doch das gilt nur in der Theorie. Denn das neue Landesjagdgesetz verbietet generell die Anlage von Wildäckern im Wald. Somit scheidet diese Möglichkeit zur Attraktivitätssteigerung durch Wildäcker südlich des Rothaargebirges aus.

Ein weiteres wichtiges Element der Attraktivitätssteigerung von Flächen für Wisente ist die Tatsache, dass auf den im Bereich der Wittgenstein-Berleburg´schen Rentkammer vorhandenen Wildwiesen so gut wie keine Beunruhigung, vor allem auch durch jagdliche Aktivitäten stattfindet. Die Flächen stehen damit allen Wildarten ungestört fast ganzjährig als Äsungsbereiche zur Verfügung.



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